Das Kino gegen Austerität ist Teil der Initiative „International solidarisch Schluss mit Austerität“ an der wir uns als Linksjugend [’solid] beteiligen. Seit 2018 „zeigen und diskutieren wir alle zwei Wochen regelmäßig international herausragende, wie auch weniger bekannte, historische wie aktuelle Produktionen aus verschiedensten Ländern – Spielfilme, Dokumentationen, bissige Satiren aber auch Theateraufführungen und Filmaufnahmen von Theaterstücken. Diese sollen Geschichte und Krisenhaftigkeit des neoliberalen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodells, die ökonomischen und sozialen Ursachen und die Genese und Fassetten der aktuellen gesellschaftlichen Krise, die Profiteure und Interessen hinter dieser Politik, die antifaschistischen, sozial progressiven und emanzipatorischen Kämpfe zu ihrer Überwindung, die internationale Spezifik und globale Gemeinsamkeit dieser Auseinandersetzungen sowie exemplarisch die zu erstreitende Perspektive einer menschlicheren Gesellschaft beleuchten.
So mag auch eröffnet sein, ein Bewusstsein von der entscheidenden Bedeutung der Solidarität als Haltung und Praxis zu bilden. Die Filme werden jeweils durch ein kurzes Referat eingeleitet, im Anschluss gibt es stets die Möglichkeit zur weiteren Diskussion.
Im Sommer finden die Veranstaltungen als Freiluftkino auf dem Campus der Universität Hamburg statt, im Winter im Hörsaal D im Philosphenturm, Von-Melle-Park 6.
Das aktuelle Programm und die Ankündiger zu den Filmen findet ihr unter: https://schluss-mit-austeritaet.de/film-seminar-gegen-austeritaet
Ankündiger zum Film „Les jours heureux“
Wie lässt sich die Marginalisierung und Überwindung extrem reaktionärer Kräfte und Tendenzen in der Gesellschaft bewirken? Die Geschichte lehrt dabei: es reicht nicht aus, die formal-demokratischen Errungenschaften, Institutionen, Strukturen, Werte und Gepflogenheiten in jener Verfasstheit zu verteidigen, welche das Erstarken roher Menschenfeindlichkeit möglich gemacht hat. Vielmehr sind diese Grundlagen aufgeklärt-gesellschaftlicher Entwicklung in neuer Qualität engagiert sozial zu verwirklichen. Die weitreichenden Schlussfolgerungen aus der gelungenen Befreiung von Faschismus und Weltkrieg 1945 wurden nie in Gänze realisiert und sind über die letzten drei Jahrzehnte durch eine neoliberale Politik steter Privatisierung, Kapitalbegünstigung, Sozialstaatsabbau und Remilitarisierung in ganz Europa (und weltweit) schrittweise revidiert und empfindlich ausgehöhlt worden. Das ist eine wesentliche Ursache der gegenwärtig zu behebenden Misere. Insofern scheint geboten, sich der kämpferischen Hervorbringungen jener Zeit neu gewahr zu werden.
Einen entscheidenden Beitrag dazu liefert die von Gilles Perret 2013 veröffentlichte Dokumentation über den Inhalt und das Zustandekommen der „Glücklichen Tage“ („Les Jours Heureux“).
Unter diesem Titel beschloss der 1943 gebildete, im Untergrund operierende Conseil National de la Résistance (CNR) ein revolutionäres Programm zur Befreiung Frankreichs von der faschistischen Okkupation und zur sozialen Neugestaltung der Gesellschaft, das bis heute die strukturellen Eckpfeiler des französischen Staatswesens prägt.
Es umfasste Maßnahmen zur Verstaatlichung der Energieversorgung, des Banken- und Versicherungswesens und des Automobilkonzerns Renault, zur Verankerung weitreichender Arbeitsrechte, zur betrieblichen Mitbestimmung, zur Etablierung der Sozialversicherungskassen und der damit einhergehenden Garantie des Rechts auf Bildung, Kultur, Gesundheit, gesellschaftliche Teilhabe und ein dauerhaft gesichertes Leben in Würde für Alle, zur Demokratisierung der öffentlichen Verwaltung und vieles mehr.
Vielmehr noch als der Inhalt dürfte jedoch das Zustandekommen dieser Programmatik als revolutionär zu bezeichnen sein: Dem CNR gehörten neben Kommunisten, Sozialisten, bürgerlichen Radikal- und Christdemokraten wie auch nationalkonservativen Republikanern (als Parteienvertreter der 1940 besiegten Dritten Republik) auch die führenden Repräsentanten der weltanschaulich ähnlich plural organisierten Widerstandsgruppen sowie der kämpferischen Gewerkschaften an. Die erreichte Einigung der zuvor zersplitterten Kräfte folgte der aus dem Widerstand erwachsenen Einsicht in die notwendigen Maßnahmen zur Beseitigung der Strukturen, die die Besatzung und das Kollaborationsregime des Marschall Pétain möglich gemacht hatten und war das Ergebnis intensivster, subversiver Koordinations-, Organisations- und Vermittlungstätigkeit zwischen den vornehmlich arbeiterbewegten Widerstandsgruppen im Land und den finanziell und logistisch besser ausgestatten, eher nationalgesinnten Gegnern der Kollaboration im Exil.
Der Film porträtiert dabei bekanntgewordene, aber vor allem auch vergessen-gemachte Protagonisten des CNR wie Pierre Villon, den Vertreter der kommunistischen Franc-Tireurs et Partisans, ohne die die programmatische Einigung nicht zustande gekommen wäre. Er zeichnet den widerspruchsvollen Weg von der Herausbildung der Résistance bis zur Umsetzung des Programms ab 1945 ebenso nach wie die jüngsten Kontroversen um dessen aktuelle Relevanz und lässt dafür zahlreiche Kampfgefährten der damaligen Zeit eindrucksvoll zu Wort kommen.
So erwachsen historische Einsichten von akut-nachhaltiger Bedeutung: ohne den im Angesicht der tiefsten Barbarei entwickelten Entwurf einer grundlegenden sozialen Neugestaltung der Gesellschaft wäre die Befreiung vom Faschismus nicht gelungen. Diese lebensnah skizzierte Vision einer besseren Welt, in der der Mensch dem Menschen ein Freund sein kann, steht heute – unter erheblich günstigeren Umständen – mehr denn je zur engagierten Verwirklichung an. Human ambitioniert, strategisch orientiert, solidarisch assoziiert und persönlich couragiert wird aus Hoffnung Zuversicht und aus Zuversicht Tatsächlichkeit. Der frohe Sinn wächst mit jedem Schritt neu geschaffener Weite.
Insofern: Brot, Frieden, Würde – jetzt! International solidarisch: Schluss mit Austerität.
„Jeder lebendige Geist, das ist eine Tatsache, erkennt in einem gerechteren sozialen und ökonomischen Ausgleich die Forderung der Weltstunde, und es ist ebenfalls gar keine Frage, daß diese moralisch lebenswichtige Forderung sich nicht nur auf die innere Struktur der Staaten, sondern auch auf die Staatengesellschaft selbst und ihr Zusammenleben zu erstrecken hat.“
Thomas Mann, „Vom kommenden Sieg der Demokratie“, 1938.